Forschend fixiert, die Mitte des Bildes einnehmend, ist ein junger Mann, Rolf Hartung, dem Betrachter vis-à-vis. Er hält in der Rechten eine Faschingsmaske mit struppigem, breitem Schnurrbart und verdeckt damit zur Hälfte sein Gesicht.…
Es ist ein verschollenes Selbstbildnis des Künstlers, das 1948 entstand, drei Jahre nach Kriegsende. Individuelle Merkmale sind akzentuiert und versichern die personelle Identität. Seine Augen sind groß und betont, schwarz und scharf gezeichnet die Augenbrauen, ebenso bestimmt geformt: Stirn und Haar des Dargestellten.…
Dicht vor ihm lehnt zwischen einem Ensemble von Glasflaschen und Gefäßen an einem Krug mit Pinseln eine weitere Maske. Und seitlich ist schließlich eine dritte zu sehen. Das gegenständliche Arrangement des Vordergrundes, das den Oberkörper des Porträtierten fast verdeckt, etikettiert attributiv die Sphäre des Ateliers.
Dieser Unverwechselbarkeit der Person durch die Prädikate charakterisierender Formen und Gegenständlichkeit steht die Geste der Maskerade gegenüber, als ein Widerspiel des Bekennens und des Versteckens, der Selbstpräsentation und der Verhüllung von Identität.
Spielt hier jemand mit den Möglichkeiten des Maskierens, sich in einer anderen Rolle darzustellen, mit der Lust am Theater und der Freude am Spiel oder ist die Maske Ausdruck von Camouflage, des sich Verbergens und der Tarnung, der Verwirrung? Die Paradoxie von Selbstoffenbarung und Selbstverstellung ist diesem Selbstbildnis eigen. Nicht die Person im alltäglichen Leben ist in diesem Bild vergegenwärtigt, nicht das künstlerische Selbst in einer überhöhten Pose. Wenn es denn nicht dokumentarisch zu verstehen ist, so vielleicht doch programmatisch: als eine Auseinandersetzung mit der Frage nach dem eigenen Verständnis, dem Selbstverständnis als Künstler. Vielleicht ist es aber auch noch mehr als die Frage an den Spiegel, an das Selbst, vielleicht ist es auch eine Frage jenseits dessen an die Welt – ihm gegenüber.…
Wie eingangs erwähnt, entstand das Bild kurz nach dem Krieg 1948, also in einer Zeit des Umbruchs, dem Ende einer Weltkatastrophe, in einer Welt, die noch an den Folgen litt, am Beginn eines unbekannten Neuen, einer ungewissen Zukunft, der Neuorientierung der Hoffnungen und der Ängste. …
Aus: Jan Enderlin, Rolf Hartung im zeitgeschichtlichen und kunstgeschichtlichen Kontext unter besonderer Berücksichtigung des Maskenmotivs, 2005 (in: „Achtung Hartung, ein Kaleidoskop“, 2005
mit Genehmigung des Autors